Bildung: Wie kann Österreich wieder aufholen?

Bildung: Wie kann Österreich wieder aufholen?
MMag. Mathias Burtscher und Prof. Dr. Bernd Schilcher

Lustenau (A) „Wie kann Österreich im Bildungsbereich wieder aufholen?“ mit dieser Frage beschäftigen sich derzeit Politik, Wirtschaft, Medien und auch die Zivilgesellschaft in unserem Land.

Fakt ist, dass unsere SchülerInnen im internationalen Vergleich verhältnismäßig schlecht abschneiden, unsere Kleinkinder nur wenig gefördert werden und die Unternehmer sich bereits große Sorgen um den Wirtschafts- und Arbeitsstandort Österreich machen.

Die Industriellenvereinigung und Bildungsexperte Schilcher setzen sich gemeinsam dafür ein, dass endlich Bewegung in die nicht endenwollende Diskussion über eine Bildungsreform kommt. Was wir brauchen, ist ein Bildungssystem, das vom Kleinkindalter an alle Begabungen fördert, die Schulen von parteipolitischem Einfluss schützt und den LehrerInnen wieder mehr Gestaltungsmöglichkeiten überträgt. Deshalb unterstützen wir aktiv das österreichische Bildungsvolksbegehren.

Prof. Dr. Bernd Schilcher
„In den letzten Wochen haben uns wenig erfreuliche Nachrichten erreicht. Da waren in erster Linie die wiederholten Klagen der Wirtschaft und Industrie, die Facharbeiter, Ingenieure und einen gut ausgebildeten Lehrlingsnachwuchs suchen. In vielen Fällen war diese Suche leider vergeblich“, so Prof. Schilcher in seinen einleitenden Worten.

Die zweite unerfreuliche Botschaft kommt von der OECD. In ihrem Bericht „Bildung auf einen Blick 2011“ muss die OECD feststellen, dass Österreich zu den Ländern gehört, in denen die soziale Herkunft die schulischen Leistungen im besonderen Maße beeinflusst. Diesmal hat man vor allem den sozio-ökonomischen Einfluss auf die Leseleistungen der SchülerInnen geprüft, die ja zu den fundamentalen Voraussetzungen für eine gute Bildung gehören. Während in den Ländern mit den besten Leseleistungen wie Finnland, Kanada, Korea und Shanghai (China) der sozio-ökonomische Hintergrund der SchülerInnen kaum eine Rolle spielt, hat dieser Hintergrund in den Ländern Neuseeland, Frankreich und Österreich besonders großen Einfluss. Dazu kommt, dass die SchülerInnen in Österreich, Argentinien und Russland die geringste „Resilienz“ aufweisen. Darunter versteht man, dass SchülerInnen, die dem untersten Quartil des sozialen Status angehören, nichtsdestoweniger zur Gruppe der SchülerInnen mit den besten Leseleistungen gehören. Österreich ist weit davon entfernt.

Wie wir vor allem bei der gestrigen gemeinsamen Veranstaltung der katholischen Kirche Vorarlbergs mit der Industriellenvereinigung festgestellt haben, hängt das schwache Abschneiden tausender Pflichtschulabsolventen vor allem damit zusammen, dass sich die Politik in Österreich viel zu wenig um die bildungsfernen Schichten kümmert. In anderen Ländern werden Kinder aus solchen Schichten frühpädagogisch erfasst und gemeinsam mit Migrantenkindern in Krippen und Kindergärten vor allem sprachlich und sozial gefördert. In Österreich sind solche Programme Landessache und bis zum dritten Lebensjahr sehr dürftig und von Land zu Land höchst unterschiedlich entwickelt.

Weiters ist das Angebot an echten, verschränkten Ganztagsschulen sowie gemeinsamen Schulen, die in über 80% der europäischen Länder die Regel sind, einerseits sehr gering bzw. überhaupt nicht vorhanden. Das wird nicht zuletzt vom international bekannten Genetiker Markus Hengstschläger gerügt: „Wir müssen uns vor allem bei den bildungsfernen Schichten viel Arbeit antun. Andernfalls gehen uns unglaublich viele Talente verloren“.

„Die Folgen sind dramatisch: 9.000 SchülerInnen verlassen jährlich unsere Schulen ohne Abschluss“; verdeutlicht Schilcher. „Sie werden zum größten Teil teure Sozialfälle. Dazu kommen 17,5% eines Jahrgangs, die nur einen Pflichtschulabschluss erwerben. Das reicht heute nicht mehr. Und schließlich können bei uns 28% der 15 Jährigen nicht sinnerfassend lesen. Das ist eine mittlere Katastrophe.“

MMag. Mathias Burtscher
„Ich frage Sie nun, wie soll jemand, der nicht sinnerfassend lesen kann, eine Ausbildung beginnen? Diese von Prof. Schilcher angeführten Fakten müssen bei uns allen die Alarmglocken schrillen lassen“, so MMag. Mathias Burtscher, Geschäftsführer der IV Vorarlberg. Österreich ist eines der – nach wie vor – wohlhabendsten Länder der Welt und sollte über eines der besten Bildungssysteme der Welt verfügen. Dass dem leider nicht so ist, leuchtet mittlerweile jedem ein und wurde bereits X-fach aufgezeigt. Auch wir in Vorarlberg wissen, dass die Vorarlberger SchülerInnen weder in den Bereichen Naturwissenschaften und Technik, noch beim Lesen signifikant bessere Leistungen bringen als der gesamtösterreichische Durchschnitt.

Bedeutung für die Wirtschaft
Dieser Tage ist das Zitat von Henry Ford häufiger zu hören und zu lesen, wonach die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes nicht in der Fabrikshalle oder im Forschungslabor, sondern in den Klassenzimmern beginnt. Österreich muss sich dessen – als kleines, wirtschaftlich sehr erfolgreiches Land – permanent bewusst sein. Wenn man bedenkt, dass unser Wohlstand zu 2/3 auf technologischer Veränderung beruht, sollte die Forcierung von Bildung, Innovation und Forschung nicht „Kür“, sondern „Pflicht“ sein und muss daher im Zentrum all unserer Bemühungen um den Standort stehen.

Die IV Vorarlberg bringt es gemeinsam mit Prof. Schilcher auf den Punkt, genauer gesagt auf fünf wichtige Punkte, die oberste Priorität besitzen müssen.

Fünf zentrale Punkte einer notwendigen Bildungsreform
Was wir brauchen ist:
- ein Neustart!
- Frühförderung, bei den Kleinsten müssen wir anfangen!
- eine stärkere Fokussierung auf MINT-Fächer
- eine effiziente Schulverwaltung, bei der Geld im Klassenzimmer ankommt!
- die besten LehrerInnen für unsere Kinder!

1) ein Neustart!

Seit der Zeit von Maria Theresia, also seit dem 18. Jahrhundert, wird in unserem Schulwesen nach den gleichen Prinzipien gearbeitet. Warum eigentlich ist die Abfolge der Schulfächer genau im 50 Minuten Takt? Wir machen die Dinge so, wie wir sie schon immer gemacht haben, wie wir es gewöhnt sind. Auch wenn wir wissen, dass eine Schule, die Jugendliche begeistert, ganz anders funktionieren müsste. Wir setzen uns dafür ein, dass ein Umbruch, ein Neuanfang, geschieht. An erster Stelle steht dann die Förderung von Talenten und Begabungen junger Menschen, gestaltet mit pädagogischen Prozessen, die junge Menschen begeistern und nicht nur nach den Rahmenbedingungen der Lehrergewerkschaften.

2) Frühförderung, bei den Kleinsten müssen wir anfangen!
Aus vielen Studien wissen wir, dass der Grundstein für einen geglückten Lebens- und Bildungsweg von Kindern bereits im Kindergarten und in der Volksschule gelegt wird. In keiner Phase des Lebens lernt ein Kind mehr, als in den ersten Jahren und hier können Talente und Potenziale auf einfachstem Wege gefördert werden. Wir fangen viel zu spät in der Entwicklung eines Kindes an, dieses zu fördern. Es kann nicht sein, dass in Kindergärten viel zu wenig ausgebildete PädagogInnen beschäftigt sind, viel zu viele Kinder zu betreuen sind und das zu Zeiten, die möglicherweise keineswegs den gängigen Arbeitszeiten einer Vollzeitarbeitskraft entsprechen. Auch darf es nicht sein, dass Kinder der Volksschule aufgrund von sprachlichen Defiziten dem Unterricht nicht folgen können. Auf Kindergarten und Volksschule sollte daher in Zukunft genauso ein Hauptaugenmerk von Reformen liegen wie auf die Mittel- und Oberstufe.

3) eine stärkere Fokussierung auf MINT-Fächer
Eine verstärkte Fokussierung auf naturwissenschaftliche/technische Ausbildungsformen bereits ab dem Kindergarten ist für die Steuerung der späteren Ausbildungs- und Berufswahl bedeutsam. Es gilt, die bestehenden Talente, Interessen und Begabungen der SchülerInnen besser als bisher herauszuarbeiten und den Kindern bzw. den Jugendlichen deutlicher aufzuzeigen, wo künftig ihre Karrierechancen liegen – im Sinne einer Hilfe für die Orientierung von SchülerInnen in Bildung, Beruf und Leben. Wenn die Nachfrage nach AbsolventInnen von MINT Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) in Zukunft weiter zunimmt, wovon man ausgehen kann, und es kein entsprechendes Angebot gibt, kann und wird dieser Mangel eine negative Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit Österreichs haben.

4) eine effiziente Schulverwaltung, bei der das Geld im Klassenzimmer ankommt!
Österreich gibt viel für sein Bildungssystem aus. Die Gesamtkosten für den schulischen Bildungsbereich betragen ca. 9,5 Milliarden Euro pro Jahr (ca. 16. Mrd. Euro inkl. Aufwendungen der öffentlichen Hand für die Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen sowie für Wissenschaft und Forschung). Unsere teure, föderale Verwaltungsstruktur und die geringe Autonomie am Schulstandort sorgen für durchschnittliche Qualität bei überdurchschnittlichen Kosten. Das heißt, wir investieren in die Schulverwaltung statt in den Unterricht und ein Großteil des Bildungsbudgets kommt gar nicht erst im Klassenzimmer an.

5) die besten LehrerInnen für unsere Kinder!

Die Pädagoginnen und Pädagogen sind die Architekten der Zukunft, ohne sie ist keine Reform zur Verbesserung des Systems möglich. Sie spielen die zentrale Rolle, wenn es darum geht, vorhandene Potenziale und Talente, Innovationsgeist und Kreativität zu fördern. In einem sehr guten Bildungssystem werden nur die besten und geeignetsten Personen zu LehrerInnen ausgebildet. Hierfür werden Leistungsanreize benötigt und Möglichkeiten um- oder auch auszusteigen. Wichtig ist, dass alle pädagogischen Berufe vom Kindergarten an aufgewertet werden.

Prof. Dr. Bernd Schilcher
Unterstützung des Bildungsvolksbegehrens
Aus diesen und vielen weiteren Gründen plädieren Prof. Schilcher und die Industriellenvereinigung für eine rege Teilnahme am Bildungsvolksbegehren, dessen Eintragungsfrist in genau einem Monat – nämlich am 3. November – beginnt. Ziel des Bildungsvolksbegehrens ist, ein Problembewusstsein auch innerhalb der Bevölkerung zu schaffen, Bewegung in das Schulsystem zu bringen und eine ernsthafte Diskussion auszulösen. „Unser Schulsystem war früher sicherlich sehr gut, jetzt muss es allerdings den geänderten Erfordernissen angepasst und weiterentwickelt werden,“ so Schilcher. Damit – analog zum Titel des Volksbegehrens „Österreich darf nicht sitzen bleiben“ – gelte es auch für die Bevölkerung aufzustehen und hinzugehen. Österreich braucht eine zivilgesellschaftliche Bewegung, um der Politik die Augen zu öffnen und endlich die dringend notwendigen Reformen durchzuführen.

Wer sich in die Liste der UnterstützerInnen einträgt, tritt für ein neu geregeltes, faires, effizientes und weltoffenes Bildungssystem ein. Es soll vom Kleinkindalter an alle Begabungen fördern, die Schulen vor parteipolitischem Einfluss schützen und den LehrerInnen wieder mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Verantwortung übertragen. Wird das Bildungsvolksbegehren die gesteckten Erwartungen nicht erfüllen, ist leider zu befürchten, dass es einen lang anhaltenden Bildungsstillstand geben wird, auf Kosten aller Kinder und Jugendlichen in Österreich.

„Es gibt keinen natürlichen Rohstoff, der heute wichtiger ist als eine gute Ausbildung“, sind Schilcher und Burtscher überzeugt. „Denn Bildung hilft bei der Erreichung der selbst gesteckten Ziele, verringert das Risiko von Arbeitslosigkeit, senkt die Armutsgefährdung, sichert Wohlstand, hilft gesünder zu leben und ist ein unentbehrlicher Standortfaktor.“

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